Influenza und Homöopathie

 

 

Der Anspruch des Machers und Autonomen verfehlt den Zugang zur Realität, denn Wahrheit leuchtet nur auf, wenn der Mensch der Wirklichkeit so gegenübertritt, wie sie es selbst verlangt. Je höher das Wirkliche steht, desto größer ist die Anforderung, die es an den erkennenden Geist stellt; desto größer aber auch die Versuchung, sie auf die Ebene der tiefer stehenden Dinge herunterzuziehen; weil er es dann bequemer hat. So ist es zum Beispiel sehr verlockend, das Lebendige chemisch zu denken, denn man spart Arbeit und gewinnt den Schein strenger Wissenschaft; in Wahrheit war man geistig träge, hat der Erkenntnis Gewalt angetan und das Eigentümliche des Gegenstandes verloren.

R. Guardini

                                                                                                

Nosologie

Die ewig alte Versuchung, Krankheiten auf ein kleines Symptomenbild zu reduzieren, statt die Gesamtheit der Symptome, ein Ereignis der Person und ihrer Umgebung zu sehen, begegnet uns schon in Form des Titels dieses Aufsatzes - Influenza und Homöopathie. Jeder Adept und Lehrer der Homöopathie betont schon nach den ersten Lehrstunden mit strenger Miene, dass es keine Behandlung der Influenza sondern nur die Behandlung eines Patienten, der an Symptomen, die unter den Begriff Influenza fallen, geben kann. Der Weg, die Krankheitszeichen vom betroffenen Menschen und seinem Umfeld getrennt zu sehen und dafür ausschließlich die Symptome zur Diagnose und Therapie heran zu ziehen, verspricht viele Vorteile. Da herrscht einmal die Vorstellung, es seien die verschiedenen Krankheiten, ihre Namen, dann die Diagnosen zu erlernen, um dann schließlich die Krankheiten mit den entsprechenden Heilmitteln erfolgreich besiegen zu können.

Für die bürokratisch orientierten Mediziner bedeutet die Einführung der ICD, der  International Classification of Diseases eine durchaus wertvolle Hilfe. Seit Ende des 19. Jahrhunderts sind Menschen damit beschäftigt, alle Krankheiten präzise zu definieren, von denen jede in die vorgesehene Schublade postiert werden kann.  Für  die Behandlung brauchen wir dann nur in der ebenso erstellten Liste der Therapieempfehlungen der WHO nachzuschlagen. Einstweilen sind wir bei Version 10 dieser ICD angelangt, die in Abständen auf den neuesten Stand gebracht („upgedatet“) wird. Wenn diese ICD in naher Zukunft endgültig erarbeitet und vollendet sein wird, dann verbinden nicht wenige Menschen damit die Hoffnung, auch den Schlüssel zur Überwindung aller Krankheiten in der Hand zu haben.

Die Influenza ist nun ein Musterbeispiel dafür, wie einfach die Medizin sein kann: Laien, Bürokraten, Impfstoffhersteller und sehr viele Ärzte verstehen unter Influenza ziemlich dasselbe. Es soll sich da um ein selbstverständlich klares, scharf zu fassendes  Krankheitsbild handeln. Es gibt da nur wenige Symptome, Gliederschmerzen und mehr oder weniger hohes Fieber. Bei genauerem Hinsehen gibt es aber doch mehr Erscheinungen, die unter dem Namen Influenza fallen: erhöhte Temperatur, Gefühl wie Fieber, etwas Fieber, höheres Fieber und auch sehr hohes Fieber. Mit dem Fieber können auch Schüttelfrost, anhaltende oder auch wechselnde Zustände von Frostempfinden verbunden sein. Dazu können Gliederschmerzen, Muskelschmerzen, Gelenksschmerzen, Halsschmerzen, Kopfschmerzen, Schmerzen beim Husten und noch Schmerzen anderer Regionen kommen. An den Atmungsorganen können wir zahlreiche Symptome, die typisch für die Influenza gelten, beobachten. Die Nase kann verstopft sein, sie kann aber ebenso unaufhörlich rinnen. Die Absonderungen können durchsichtig, gelb, grün, dünn oder dick, zäh oder schleimig oder wässrig, mild oder scharf sein. An Kehlkopf, Luftröhre und Bronchien lassen sich weitere, vielfältige Erscheinungen feststellen. Rötung, spärliche und reichliche Absonderung, Trockenheit, Blutaustritte, Entzündung der Lunge, etc. Auch der Verdauungsapparat kann die Zahl der Symptome noch beträchtlich bereichern; die da sind Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, bitterer Geschmack, Durst und Durstlosigkeit. Die Allgemeinsymptome wie Schwäche, Schläfrigkeit oder Schlaflosigkeit, Schweißbildung, Bedürfnis nach Ruhe oder Bewegung, auslösende Ursachen usw. könnten das Krankheitsbild noch um vieles erweitern.  Um den Leser nicht zu überfordern, verzichte ich bewusst auf die Anführung der Gemüts und Geistsymptome, die auch bei der Influenza regelmäßig vorhanden sind.

In unsrer Umgangssprache sind für das Krankheitsbild der Influenza viele Bezeichnungen üblich. Es werden  für die verschiedenen Formen der Grippe, Namen wie Kopfgrippe, Brustgrippe, Sommergrippe, Bauchgrippe, Magengrippe  etc. verwendet. Es geht also schon aus der Sprache hervor, dass es „die Grippe“ als eigene, eindeutige Krankheit nicht gibt.

Der Name Influenza verdrängt in der letzten Zeit den Namen Grippe. Der Name Grippe wird aus dem französischen gripper, erfassen, erwischen, abgeleitet und besagt nur, dass der Patient von etwas erfasst, ergriffen oder erwischt wurde. Der nun im Zeitalter der Viren beliebte und viel sagende Ausdruck Influenza (influere - einfließen) soll erklären, dass Viren, ursprünglich das griechische Wort für Gift, heute unheimliche, im Elektronenmikroskop zu sehende Minimonster, in den Organismus gelangt sind. Hatte man früher auch von leichter oder schwerer Grippe gesprochen, so ist heute bei schwereren Formen der Influenza von der "echten Influenza" die Rede.

Bei dieser also scheinbar klar und eindeutig zu fassenden Diagnose Influenza ist, wie nicht anders zu erwarten, die gängige Therapie ebenso klar und einfach. Analgetika, Antipyretika, Antiphlogistika, bei nicht sofortigem Ansprechen zur Absicherung und Ergänzung  Antibiotika. Zur Erleichterung begleitender Hustenformen können noch hustenstillende Medikamente erwogen werden. Antivirale Substanzen genießen bis jetzt noch nicht das verbreitete Verständnis.

Die wahrscheinlichste Veranlassung

Für homöopathische Ärzte ist das alles nun doch nicht so einfach. Namen wie Kopf-Grippe oder Brust-Grippe deuten schon an, dass Influenza nicht gleich Influenza ist. Um der Vielzahl der Symptome gerecht zu werden und zugleich einen Weg zu finden, leichter zu den vorhandenen Symptomen passende, ähnliche Arzneien zu finden, gibt es aber wegweisende Hilfen.

Einige, erfahrene Autoritäten der homöopathischen Medizin haben zur leichteren Arzneifindung den Begriff der "bewährten Indikationen" geprägt. Es gibt eine Reihe gängiger, akuter Krankheiten, die schon von ihren geringen Symptomen her einem bestimmten homöopathischen Arzneimittelbild entsprechen. Dabei werden die lokalen Symptome, die Modalitäten und auch die auslösende Ursachen herangezogen. Als ein Beispiel  sei hier Bryonia angeführt. Bei bestimmten Formen der Influenza fällt auf, dass der Kranke jede Bewegung, vor allem das Husten, zu  vermeiden sucht. Das Symptom oder die Modalität Schmerzen bei Bewegung weist in vielen Fällen auf die Arznei Bryonia hin.  Tatsächlich gelingt es bei nicht wenigen Formen der Influenza diese mit Bryonia rasch zur Heilung zu bringen, wenn eben diese Art der Schmerzen das hervorstechende Symptom ist.

Hahnemann empfiehlt bei akuten Krankheiten vor allem die Daten der wahrscheinlichsten Veranlassung für die Arzneiwahl heran zu ziehen. (§ 5 Organon der Heilkunst). Lokalsymptome, Modalitäten und auch auslösende Ursachen sollen in einem einzigen Heilmittel gemeinsam vorhanden sein, um von einem Simile zu sprechen. Die Arznei nach der auslösenden Ursache auszuwählen, ist wohl der schnellste Weg, das Simile der jeweiligen Influenza zu finden.

Aus der Erfahrung der homöopathischen Praxis führe ich nun eine Auswahl der häufigsten Arzneien an, die beim weit gefassten Begriff Influenza als Heilmittel dienen: Aconit, Belladonna, Nux vomica, Pulsatilla, Rhus tox, Sulfur, Bryonia, Gelsemium und Baptisia. In der folgenden Tabelle sind die Arzneien der Influenza nach ihren auslösenden Ursachen aufgelistet.

Aconit

Heftiger, sehr kalter Wind oder intensive Zugluft

Aggressive Klimaanlage

Baptisia

Überhitzung und Unterkühlung

Feuchtes, heißes Wetter, Schwüle

Belladonna

Intensive Abkühlung nach Überhitzung

Bryonia

Raues, trockenes und windiges Wetter

Gelsemium

Überhitzung und Unterkühlung

Nasses Wetter, Frühling, Sommer

Nux vomica

Schlafmangel, Überladung des Magens

Pulsatilla

Wechselhafte Temperaturen und Zugluft

Längere Einwirkung der Klimaanlage

Rhus tox

Durchnässung und Überanstrengung

Längere Unterkühlungen in feuchten Räumen und bei Feuchtwetter

Sulfur

Unterdrückung des Fiebers durch Antibiotika und Analgetika

Unterkühlungen bei feuchtem und trübem Wetter

Diese in der Tabelle angeführte Auswahl soll zunächst als Hilfe zum Einstieg dienen. In der Tat gehören diese Mittel zu den häufigsten Arzneien, welche bei dem doch  breiten, vielfältigen Symptomenbild der Influenza zum Einsatz kommen. Um das passende Heilmittel zu finden, genügt hier nach kurzer Anamnese in etlichen Fällen der Blick aus dem Fenster und das Lesen des Wetterberichtes.

Mit der Auflistung sehr häufig, wenn auch erfolgreich angewandter Influenzamittel begeben wir uns aber schon wieder auf das verführerische Glatteis, die Krankheiten auf wenige Symptome zu reduzieren.

Jedem erfahrenen Homöotherapeuten sind Verlaufsformen von Influenza im Gedächtnis, bei denen keines dieser Grippemittel das Leiden bessern konnte. Da treten auch andere, große Arzneien, wie Phosphor, Natrium muriaticum, Lycopodium, Silicea etc. auf den Plan. Diese Arzneien sind dann das ähnliche Heilmittel, wenn die Erkrankten schwerer und länger daniederliegen. Das auslösende Ereignis war dabei sehr intensiv oder es gab mehrere, veranlassende Umstände oder hatte öfters über längere Zeit auf den Patienten eingewirkt.

Der homöopathische Arzt kann es sich also nicht so bequem machen, Grippe zu diagnostizieren und damit die Therapie der Wahl zu treffen. Den Traum von der Universalarznei zur Behandlung der Influenza kann er nicht träumen.

Die Vorbeugung

Und wie sieht es mit der Vorbeugung aus? Hahnemann und Kneipp geben klare, verbindliche Empfehlungen an, wie es diesen Krankheiten vorzubeugen gilt. Die zweckmäßige Kleidung, das Schlafzimmer mit der frischen Luft, die tägliche Bewegung im Freien, kurz die Lebensweise mit bewusster und sanfter Abhärtung wird von den Patienten erwartet.

Ganz anders verstehen die Anhänger der Impfungen die Influenza. Diese ist nicht eine Folge von verschiedenen Unterkühlungen und anderer Umstände, die auf den Körper einwirken. Für die Erfinder und Hersteller der Impfungen ist die Influenza einzig die Folge einer zufälligen Infektion mit Influenzaviren, die schicksalshaft durch Ansteckung in den Körper eindringen.

Dabei brauchen wir nicht der Frage nachgehen, bei wem die Ansteckung eigentlich beginnt.

Die Frage, warum nur diese oder jene Menschen befallen werden und andere nicht, braucht auch niemand zu beantworten.

Die Frage, warum sich die Viren gerade bei kaltem Wetter besonders vermehren und aggressiv werden, ist auch nicht zu stellen.

Die Frage, wie ein einziges Virus die vielen, verschiedenen Formen der Influenza  verursachen kann, ist ebenso überflüssig. Da bleibt ja die Möglichkeit, im Nachhinein, je nach den klinschen Symptomen eigene Viren zu klassifizieren. Damit erscheint dem ahnungslosen Nichtvirologen die ganze Theorie doch wieder wissenschaftlich. Und die Entwicklung eines neuen spezifisch wirksamen Impfstoffes gegen eine neueGrippe kann beginnen.

Erfahrungen

Am Schluss dieser Überlegungen möchte ich noch zwei persönliche Erfahrungen anfügen.

Das in meiner Praxis am häufigsten verwendete, nützliche Heilmittel bei „Grippe“ war bis heute Rhus tox.

Den ersten Vorwurf, durch eine Impfung einen gesundheitlichen Schaden angerichtet zu haben, musste ich von einer vornehmen, gebildeten und ergebenen Patientin nach einer Grippeimpfung hinnehmen. Es war die erste Veranlassung, über Impfungen nachzudenken.

Dr. Johann Loibner

Ligist, 21.10. 2006